Page 4 - Ärzteblatt Sachsen, Januar 2023
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EDITORIAL
Von vielen höre ich „die Medien“ oder „die Politik“ oder „die
da oben“ oder, oder, … Nur selten kommt die Frage an sich
selbst, „…was kann ich tun?“ .
Ich stelle mir ebenso oft folgende Fragen: Geht oder ging es
uns vielleicht zu gut? Ist es nicht vielleicht auch ein Stück das
Versagen jedes Einzelnen, indem wir einer „Geiz-ist-Geil-
Mentalität“ huldigten? Ist selbst die Ukraine für manchen
von uns zu weit weg, um das Leid zu spüren? Ich denke: Wir
müssen zuerst bei uns selbst beginnen, uns hinterfragen,
uns aus unserer Wohlstandsecke heraus bewegen, in Dis-
kurs mit uns selbst und der Gesellschaft gehen und nicht in
Konfrontation . Hier stehen dann Individualismus mit Ge -
meinsinn oft in Konkurrenz . Es ist gar nicht schlimm, unter-
© SLÄK schiedlicher Meinung zu sein . Schlimm ist nur, die Meinung
des anderen sich gar nicht erst anzuhören, nicht zu hinter-
Erik Bodendieck fragen . Natürlich gilt hier ebenso das alte physikalische
Gesetz „actio gleich reactio“ oder „Wie es in den Wald hin-
„Sorgen sind wie Pflanzen, je mehr du sie düngst, einschallt, so schallt es auch wieder heraus“ .
desto mehr wachsen sie.” Leo Buscaglia Nun liegt ein Jahr voller neuer Herausforderungen vor uns .
Heute kann noch keiner sagen, wie die Bilanz sein wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Maßgeblich aber ist, wie wir uns selbst im Räderwerk stellen .
für uns alle beginnt ein neues Jahr . Lassen Sie mich Ihnen Ob wir der herausgebrochene Zahn sein wollen oder das
an dieser Stelle dafür alles erdenklich Gute wünschen, Rädchen, was zur Verbindung beiträgt und letztlich, im Klei-
Gesundheit und beruflichen Erfolg sowie Zuversicht . Zuver- nen arbeitend, im Großen seine Wirkung zeigt . Wir müssen
sicht ist der feste Glaube daran, dass etwas Positives die oben benannten Herausforderungen meistern . Von allein
geschehen wird . wird sich nichts ergeben und nur von anderen eine Lösung
zu erwarten, wird zu Enttäuschung führen .
Wir haben alle in den letzten Monaten und Jahren, der eine Täglich, oft auch in aussichtslosen Situationen, bewältigen
mehr, der andere weniger, unseren Glauben, ja unser Ver- wir große und kleine Probleme . Stellen uns an die Seite
trauen in das Positive vielleicht verloren . Wir sind beeinflusst unserer Patientinnen und Patienten, kämpfen auch für sie .
von Negativmeldungen, haben 2022 einen furchtbaren Lassen Sie uns diese Kraft auch auf unsere Selbstverwal-
Angriffskrieg in Europa erlebt und erleben ihn noch . Ein tung übertragen . Ja, es braucht oft viel Zeit, manchmal mit
Krieg, bei dem vor allem die Zivilbevölkerung am meisten lei- großer Enttäuschung oder Frust, bis sich etwas bewegt .
det . Wir erleben eine immer mehr verhärtende Auseinander- Aber die besonderen berufsständischen Privilegien, wie sie
setzung der Extreme und der verschiedenen „Wahrheiten“ unser Land bietet, kennt kaum ein anderes System . Es ist
im Hinblick auf gesellschaftliche, ökonomische und auch mir eine besonders große Ehre, wenn wir darum beneidet
persönliche Entwicklungen . Wir erleben den zunehmenden werden . Diese besondere Stellung ist zugleich Verpflichtung .
Mangel an Diskursfähigkeit und der Akzeptanz des Gegen- Zum einen bei der Kammerwahl aktiv zu werden, und wenn
übers in seinem eigenen Sein . es „nur“ um die wichtige Funktion des Wählers geht, aber
Auch im Hinblick auf unsere berufliche Tätigkeit gäbe es auch mit zu tun in den Gremien Ihrer Ärztekammer . Sie ent-
genügend Grund, jegliche Zuversicht zu verlieren . Spannen scheiden dabei nicht allein für sich, sondern über die Zukunft
sich hier die Problemfelder von Fachkräfte- bis Medikamen- unseres Berufstandes, in dem wir natürlich auch den allseits
tenmangel, von vollumfänglichem Leistungsversprechen bis bekannten „Generationenkonflikt“ gestalten müssen . Und,
Aggressivität und Forderungsverhalten . Es ist bei der Fülle das kann ich nach 30 Jahren Berufspolitik sagen, Sie können
kaum noch zu schaffen, dem eigenen Anspruch zu genügen, etwas bewirken!
eine sehr gute Patientenversorgung zu bieten . Dazu, im Lassen Sie uns also das neue Jahr mit Zuversicht beginnen,
Zwiespalt zu bürokratischen und ökonomischen Gesichts- denn keinesfalls führt das Befolgen des Zitates am Anfang
punkten, immer weiter und tiefer von dem Gefühl ergriffen zu Zufriedenheit und Glück . ■
zu werden, in einem Land zu leben, was schon lange seinen Mit großer Zuversicht,
Ihr Erik Bodendieck
Platz an der Weltspitze verloren hat . Präsident
4 Ärzteblatt Sachsen 1|2023